Der Body mass index (BMI) im Auge des Betrachters

Body mass index: Zusammenhang von Körpergröße und Gewicht
Astrid Kurbjuweit
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4 Minuten

Seit Wohlstand und Überfluss herrschen, haben die Menschen ein neues Problem. Viele sind zu dick, noch mehr Menschen glauben, sie wären zu dick. Denn das Schönheitsideal hat sich verändert. Seit Hunger kein Thema mehr ist, ist es nicht mehr schick, rund zu sein, sondern man strebt nach möglichst geringer Körperfülle.

Da niemand wirklich weiß, welches das optimale Gewicht eines Menschen ist, hat sich die Wissenschaft (und viele andere Interessierte) mit dem Problem befasst, dem optimalen Körpergewicht eine Zahl oder einen Index zuzuordnen.

Bis vor einigen Jahren waren das Normalgewicht (Körpergröße in cm minus 100 ergibt das wünschenswerte Gewicht in Kg) und daran angelehnt das Idealgewicht (Normalgewicht minus 10 %, manchmal auch minus 15 %) in Mode. Beide Maße haben das Problem, dass sie schwer einzuhalten sind, denn sie verlangen von allen Menschen mit gleicher Körpergröße das exakt gleiche Körpergewicht.

Da ist es kein Wunder, dass man sich wieder an den 1870 von Adolphe Quetelet entwickelten body mass index (BMI) erinnert hat. Seit einigen Jahren gibt die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Tabellen heraus, in denen dem wünschenswerten Gewicht der Menschen BMI-Bereiche zugeordnet sind, nicht mehr exakte Kilo Angaben. Dies muss als Fortschritt betrachtet werden, denn schließlich sind die Menschen nicht alle gleich, sie unterscheiden sich in Körperbau, Muskelansatz und vielem anderen mehr.

So wird ein BMI zwischen 18,5 und 25 von der WHO als normal angesehen, kleinere Werte werden als Untergewicht interpretiert und höhere Werte als Übergewicht. Die Herkunft der Grenzen dieses Bereichs bleibt allerdings mehr oder weniger im Dunkeln. Anders als die BMI-Formel wurden diese Grenzen nicht von Quetelet entwickelt. Es scheint so zu sein, als ob US-amerikanische Lebensversicherer an der Entwicklung dieser Grenzwerte beteiligt waren, die natürlich ein kommerzielles Interesse daran haben, möglichst vielen Menschen das Attribut übergewichtig zuordnen zu können, ergibt sich doch daraus die Möglichkeit, Zusatzbeiträge erheben zu können.

Tatsächlich gibt es inzwischen die Vermutung, dass, vor allem mit zunehmendem Alter, ein BMI zwischen 25 und 30, der von der WHO als Übergewicht klassifiziert wird, gesünder ist und mit einer höheren Lebenserwartung einhergeht als ein „normaler“ BMI. Auf der anderen Seite scheint es vor allem in Asien das Problem zu geben, dass die Wahrscheinlichkeit, an Diabetes zu erkranken, bereits ansteigt, wenn das Gewicht sich noch im Normalbereich bewegt. Das individuell richtige Gewicht scheint sich also in einem größeren Variationsbereich zu bewegen, als die Tabellen nahelegen.

Der untere Rand des Normalbereiches ist ebenso eher willkürlich festgelegt. Ursprünglich war hier der Wert 20 vorgesehen, was der einfachen Logik folgt, dass die Werte durch fünf teilbar sein sollen. Mit dem Grenzwert 20 waren allerdings große Teile der Bevölkerung eher unterentwickelter Länder als untergewichtig eingestuft, was politisch nicht gewollt war.

In den Industrieländern, in denen Untergewicht ein Randproblem ist, hat sich eher durchgesetzt, für Männer einen unteren Grenzwert von 20 anzusehen und für Frauen von 19. Alle diese Werte und die um sie geführte Diskussion drehen sich um die Frage, welches Körpergewicht der Gesundheit am ehesten förderlich ist.

Die tatsächliche Verwendung des BMI beschränkt sich allerdings keineswegs auf die Frage der Beurteilung des Körpergewichtes nach gesundheitlichen Kriterien. In weiten Teilen der Bevölkerung wird das Schönheitsideal als wichtiger angesehen als gesundheitliche Überlegungen. Wer mit seinem Körper unzufrieden ist, und das sind in Zeiten von Schönheitswettbewerben und Bildbearbeitung viele, der strebt nach einem niedrigeren Körpergewicht, auch dann, wenn der BMI im Normalbereich liegt.

Der eigentliche Vorteil der Angabe eines Normalbereiches, im Gegensatz zu einem einzelnen Normalwert, war die Einführung von etwas mehr Gelassenheit in die Frage, ob man wohl normal gewichtig ist oder ob man besser abnehmen sollte. Dieser Vorteil scheint von den Menschen nicht gewünscht zu sein. Denn heute streben viele, die eigentlich normal gewichtig sind, nach dem Gewicht, das den unteren Grenzwert ihres BMI-Normalbereiches definiert. Die individuelle Variabilität im Körperbau wird dabei völlig außer Acht gelassen. Nicht jeder hat die zierliche Figur, für die ein solch niedriges Gewicht richtig wäre. Da sind Stress und Frust vorprogrammiert.

Denn schließlich ist es enorm schwierig, unter das vom eigenen Körper als richtig angesehene Gewicht abzunehmen. Und unter gesundheitlichen Aspekten ist es am besten, das Körpergewicht nicht nur zumindest so ungefähr im Normalbereich zu halten, sondern vor allem, es möglichst konstant zu halten. Denn Diäten sind ungesund, schnelles Abnehmen erhöht das Sterberisiko mehr als Übergewicht und es fördert den Jo-Jo-Effekt und führt damit langfristig eher zu einem höheren als zu einem niedrigeren Gewicht.

Die Tatsache, dass ein Bereich angegeben ist, der ein gesundes Körpergewicht umfasst, bedeutet nicht, dass man sich innerhalb dieses Bereiches einen Wert frei wählen darf. Es bedeutet vielmehr, dass man seinen Körper so akzeptieren kann und sollte, wie er ist, wenn sich das Gewicht oder der BMI mehr oder weniger im gesunden, „normalen“ Bereich befinden. Dieses fällt vielen schwer.

Da sich in den letzten Jahren auch noch zunehmend herausstellt, dass der BMI auch für die Beurteilung der gesundheitlichen Aspekte des Körpergewichtes nicht so optimal geeignet ist, wurden einige neue Maße entwickelt, die diese Aspekte besser abbilden sollen. So wurde der Waist-to-Hip-Ratio eingeführt, also das Verhältnis von Hüftumfang zu Taillenumfang. Und der Waist-to-Height-Ratio, also das Verhältnis von Körpergröße zu Taillenumfang. Manchmal wird auch der Bauchumfang alleine gemessen. Keins dieser Maße erlaubt einen direkten Rückschluss auf die Gesundheit des so vermessenen Menschen. Auch, wenn natürlich Hinweise abgeleitet werden können.

Aber jedes dieser Maße erlaubt einigen normal gewichtigen Menschen, doch noch einen Grund zu finden, weshalb sie dringend mit sich unzufrieden sein müssen. Denn bei irgendeinem dieser Maße wird sie sich schon finden, die Abweichung von der Norm, die Bestätigung der eigenen Unzulänglichkeit. Oder das genaue Gegenteil davon. Je nach Selbstbewusstsein.

Übergewicht ist ein großes Problem in modernen Gesellschaften. Viele Menschen sind tatsächlich übergewichtig, und viele davon leben ungesund. Diese Menschen brauchen keinen BMI und keine sonstigen Indizes, sie brauchen nur einen Blick an sich herunter oder in den Spiegel zu werfen, um Bescheid zu wissen. Alle anderen, die mehr oder weniger komplizierte Berechnungen brauchen, um ihr „Übergewicht“ oder jedenfalls ihre vermeintliche Unzulänglichkeit zu beweisen, sollten wahrscheinlich besser mehr Sport treiben, sich mehr bewegen, auf andere Weise für gute Stimmung sorgen oder es sich sonst wie gutgehen lassen. Das wäre besser für die Gesundheit und es würde wahrscheinlich die spätere Entwicklung tatsächlichen Übergewichtes besser verhindern als noch eine Diät.

Denn das tatsächliche Problem ist bei vielen nicht das Übergewicht, sondern das mangelnde Selbstbewusstsein. Das wird auch mit noch weniger Gewicht nicht ansteigen.

4 Kommentare

  1. Hui, ich bin also eine Merkwürdigkeit! Na, ich hatte schon schlechtere Klassifizierungen 😉 Ein schöner Artikel, dem auch ich zustimmen kann 🙂

    Herzliche Grüße!

  2. Doch nicht merkwürdig. Bemerkenswert. Das ist es.

  3. Da stimme ich zu. 🙂

    Habe auch einen Kommentar von Carlo Wagner auf

    dazu gefunden.:

    „Das Problem mit dem BMI ist, dass er die Körpergröße nur in der zweiten und nicht in der dritten Potenz berücksichtigt (wir Menschen sind aber nun mal 3 dimensionale Wesen). Daraus folgt, dass der BMI keine Konstante sondern eine linear von der Körpergröße abhängige Größe ist (Stichwort: Ähnlichkeitstheorie). Zum Beispiel hat ein Mann mit einer Körpergröße von 2 m und einem BMI von 30 die gleichen Körperproportionen wie ein Mann mit einer Größe von 1,67 m und einem BMI von 25 bzw. ein Mann von 1,33 m und einem BMI von 20.

    Der Ponderal-Index, auch Rohrer-Index genannt, berücksichtigt die Abhängigkeit von der dritten Potenz. Obwohl dieser Index schon seit Anfang des letzten Jahrhunderts in der medizinischen Literatur bekannt ist konnte er sich bislang nicht durchsetzen (für Mediziner ist der Umgang mit der dritten Potenz wohl zu schwierig).

    Würde man den Ponderal-Index noch um die Dichte des Körpers erweitern käme man zu einer echten dimensionslosen Kennzahl. Dies hätte den Vorteil, dass unabhängig davon welches Maßsystem man verwendet (cm und kg, km und tonnen, foot/inch und stone/pound, etc.) immer das gleiche Ergebnis herauskommt.

    Ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass sich eines Tages ein vernünftiger Index anstelle des BMI durchsetzen wird.“

  4. Auch super, BMI der Dauerbrenner. Wenn man weiß wie man ihn verstehen kann, dann eignet er sich gut!

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