Das Dilemma der Nahrungsmittelindustrie

Industriell hergestelltes Fertiggericht in Plastikschale
Astrid Kurbjuweit
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3 Minuten

Zu allen Zeiten müssen die Menschen essen. Eigentlich kann es also gar nicht sein, dass die Nahrungsmittelindustrie Absatzschwierigkeiten bekommen könnte. Tatsächlich hat aber natürlich jedes Unternehmen den Wunsch, seinen Marktanteil möglichst zu steigern und seine Gewinne zu erhöhen.

Da die Menschen nicht unbegrenzt immer mehr essen können, müssen sich die Unternehmen der Nahrungsmittelindustrie etwas einfallen lassen, wenn sie ihre Umsätze steigern wollen. Eine der verfolgten Strategien ist, immer neue Nahrungsmittel zu erfinden, die aus einem immer größeren Anteil billiger, oft sogar aus gesundheitlicher Sicht minderwertiger Zutaten hergestellt sind. So quellen die Regale in den Supermärkten über vor lauter unterschiedlichen Packungen, die im Grunde alle das Gleiche enthalten: Zucker, billiges Fett und diverse Zusatzstoffe. Je nach verwendetem Aroma- oder Farbstoff, je nach durch Emulgatoren, Festigungsmittel, Feuchthaltemittel, Füllstoffe, Geliermittel, Stabilisatoren oder anderen Zusatzstoffen erzeugter Konsistenz wird der Eindruck erweckt, es würde sich um viele unterschiedliche Produkte handeln.

Diese Nahrungsmittel haben viele Gemeinsamkeiten. Sie befinden sich in bunten Packungen, die die Illusion erwecken, es würde sich um gesunde oder auch um kalorienarme Produkte handeln. Sie sind einfach zuzubereiten, oft muss man einfach nur die Packung aufreißen und zubeißen. Sie werden aus billigen Zutaten hergestellt und teuer verkauft. Sie haben viele Kalorien, aber sie machen nicht wirklich satt.

Dabei schmecken nicht alle Produkte süß. In vielen Fertiggerichten und Snacks werden Zuckerarten verwendet, die nicht süß schmecken. Viele Fertiggerichte werden auch als vollständige Mahlzeit angeboten, auf den Bildern auf der Packung sind Fleischstücke und große Gemüseportionen zu sehen. Ein Blick auf die Zutatenliste zeigt dagegen, dass diese Lebensmittel nur in homöopathischer Dosierung enthalten sind. Stattdessen wird durch Geschmacksverstärker, Würze, Hefeextrakt und ähnliche Stoffe ein würziger Geschmack erzeugt, der über das fast vollständige Fehlen gesunder Zutaten hinwegtäuscht.

Die diesen Stoffen gemeinsame Substanz ist Glutamat, das eines der am häufigsten verwendeten Zusatzstoffe überhaupt ist. Glutamat ist seit einigen Jahren etwas in Verruf geraten, weshalb man dieses Wort nur noch selten auf den Zutatenlisten lesen wird. Das Lebensmittelrecht lässt diese ungenauen Angaben zu, die Hersteller verhalten sich also durchaus korrekt, nur der Verbraucher weiß trotzdem nicht, was er angeboten bekommt.

Glutamat hat nicht nur die Eigenschaft, fast beliebigen Produkten einen würzigen Wohlgeschmack zu verleihen, Glutamat erzeugt auch das Bedürfnis, mehr von dem jeweiligen Produkt zu essen, es macht Appetit. Der Geschmack von Glutamat, der tatsächlich ein ganz eigener Geschmack ist, wird auch japanisch als Umami bezeichnet. Man könnte ihn auch als den Geschmack nach mehr bezeichnen.

Wer also einmal auf den Geschmack gekommen ist, der hat Schwierigkeiten, wieder davon loszukommen. Ähnlich wie bei der Mischung aus Zucker und Fett entsteht durch Glutamat das Bedürfnis, immer weiter zu essen, immer wieder und immer öfter von den Produkten zu essen, die diese Zutaten enthalten. Auch wenn ungeklärt ist, ob dieser Effekt durch den guten Geschmack oder durch eine mögliche Wirkung als Neurotransmitter erzeugt wird, scheint der Wunsch der Nahrungsmittelindustrie nach Umsatzsteigerung also durchaus realistisch zu sein.

Ob mit Glutamat gewürzte oder auch andere Industrienahrungsmittel dabei an der Entstehung von Übergewicht beteiligt sind, ist natürlich nicht nachgewiesen, auch wenn so einige Studien die Vermutung aufkommen lassen.

In jedem Fall fällt auf, dass mit der Zunahme industriell hergestellter Nahrungsmittel auch die Verbreitung von Übergewicht größer geworden ist. Wer seine Ernährung zu einem großen Teil auf Fertiggerichte und andere Industrieprodukte ausrichtet, ist dabei oft nicht nur übergewichtig, sondern auch fehlernährt.

Aber auch für diese Fälle bietet die Nahrungsmittelindustrie Abhilfe an. Ein großer Teil ihrer Produkte wird als extra kalorienarm, „light“, Diätprodukt oder sonst wie zum Abnehmen und Schlank bleiben geeignet angepriesen. Auch spezielle Abnehmprodukte, wie zum Beispiel Formula-Diäten, werden von den Unternehmen angeboten. Der mögliche Mangel an Vitaminen und anderen Nährstoffen kann durch entsprechende Nahrungsergänzungsmittel ausgeglichen werden.

Dummerweise scheint sich allmählich zumindest in einigen Kreisen herumzusprechen, dass eine solche Ernährung nur den Konzernen nützt, nicht jedoch den Menschen, die sich auf diese Weise ernähren. Die Antwort auf die Frage, wer vom Übergewicht profitiert kann also nicht mehr ganz so eindeutig beantwortet werden wie noch vor einigen Jahren. Immer mehr Menschen verabschieden sich von der Industriekost, sie essen stattdessen landwirtschaftliche Produkte, die sie selbst frisch zubereiten. Dabei steigen vor allem die Marktanteile biologisch angebauter Produkte, selbst in der Wirtschaftskrise. Naturkost ist kein Nischenthema mehr, sie ist längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Die Nahrungsmittelindustrie könnte also durch ihre eigenen Versuche, immer noch mehr Umsatz mit immer noch billigeren Produkten zu machen, letzten Endes zu einer Umsatzsteigerung der Naturkostbranche beitragen. Es besteht Hoffnung, dass sie den Bogen überspannt.

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Beitragsbild: Philip Kinsey/Shutterstock